Narzissmus als Überlebensstrategie

17.04.2023 – ein Beitrag von Darius Waldhof
Lesedauer ca. 12 Minuten

Wenn die Leistung der Antreiber und Garant für Liebe und Anerkennung ist, leidet der Menschen unter seiner narzisstischen Persönlichkeit. Irrtümlicherweise wird oft der Narzissmus als Selbstverliebtheit präsentiert und erklärt. Dem ist aber nicht so. Ein Narzisst ist in sein Idealbild von sich selbst und nicht in sein authentisches Ich verliebt. Er liebt eine selbst erschaffene Persönlichkeit und nicht das wahre, eigene Ich.

Dem Narzissmus liegt eine tiefe Kränkung zu Grunde, eine Trennung zwischen dem wahren, göttlichen Ich und dem von sich selbst erschaffenen menschlichen Idealbild. Tief in seiner Psyche verankert, denkt der Narzisst über sich selbst:

„So wie ich wahrhaftig bin, werde ich nicht geliebt.“
„So wie ich wahrhaftig bin, bin ich für diese Welt nicht in Ordnung.“
„Ich muss mich anstrengen und Leistung erbringen, dann werde ich anerkannt und wertgeschätzt.“

Naturgemäß ist jeder Mensch
– egal wie jung oder alt –
gleich viel Wert!

Wächst aber ein Kind in einer Gesellschaft auf, in der der Wert der Erwachsenen viel größer ist als der Wert der Kinder, entwickelt das Kind von Anfang an allein durch seine Existenz das Gefühl der Minderwertigkeit.

Verhält sich das Kind zusätzlich noch nicht so, wie die Erwachsenen das von ihm erwarten, wird dem Kind das „richtige“ Verhalten erzieherisch beigebracht. Für das gewünschte Verhalten wird das Kind belohnt, für das unerwünschte Verhalten wird das Kind bestraft. Wird dabei der Selbstwert des Kindes missachtet, seine natürlichen Grundbedürfnisse nach Liebe, Geborgenheit und Wertschätzung nicht erfüllt, fängt das Kind an, an sich zu zweifeln und sich selbst in Frage zu stellen.

„Was muss ich tun, um Liebe zu bekommen?“
„Wie muss ich sein, um Wertschätzung und Anerkennung zu erfahren?“

Was ist das wahre, göttliche Ich?
Wie kann ein Mensch das in sich erkennen?

Das wahre Ich wird nicht durch äußere Lebensumstände gebildet. Es ist in uns durch die Geburt angelegt. Es ist das authentische Ich, das jeder Mensch in sich trägt, was sein wahres Wesen auszeichnet, was er für sein Leben als Mensch mitgebracht hat.

In dem Zusammenhang sei es erwähnt, dass mit dem Begriff Geburt nicht die körperliche Geburt gemeint ist. Das wahre Wesen eines Menschen entsteht durch die geistige Entscheidung als Mensch zu inkarnieren. Dieses Wesen kennt seinen Wert, seine Potenziale und alle Möglichkeiten. Dieses Wesen kennt seinen Ursprung und weiß um seinen Wert und seine wahre Größe.

Die Entscheidung, ein Mensch zu werden, ist eine Entscheidung, mit der materiellen Welt konfrontiert zu werden. Es ist ein Wunsch, als geistiges Wesen sich Selbst in der Materie zu erfahren. Der Eintritt in die Materie, der Eintritt in die menschliche Welt ist allerdings an den Prozess des Vergessens gekoppelt. Je tiefer ein Mensch in die Materie eintaucht, umso mehr vergisst er, wo er herkommt und was er ist. Und so beginnt in der Dunkelheit des Vergessens die Suche nach Orientierung und Sicherheit.

Die Geburt des Menschen ist auch der Anfang des Kennenlernens dieser Welt. In seiner Neugier aber gleichzeitig in seiner Bedürftigkeit ist ein Neugeborenes den Kräften dieser Welt ausgeliefert. Es ist wie ein Ankommen an einem fremden Ort mit dem inneren Auftrag, Bedingungen zu schaffen, dort überleben zu können. Die Frage drängt sich auf:

„Wie muss ich sein, damit ich hier leben kann und das bekomme, was ich brauche?“

Die Antworten und Lösungen kommen durch den Abgleich der inneren und der äußeren Welt. Der junge Mensch macht seine ersten Erfahrungen, in der Regel mit den Eltern.

„Wenn ich so bin, bekomme ich das.
Wenn ich anders bin, bekomme ich das nicht.“

Ein menschliches Ich nimmt seine Form an.

In dieser Bildungsphase des Ich lernt ein junger Mensch, welches Verhalten von ihm gewünscht und belohnt wird. Welche Gefühle er zeigen darf und welche lieber nicht. In dieser Phase lernt er, welche Aspekte von ihm Anerkennung „verdienen“ und in welchen Aspekten er abgelehnt wird. Es ist auch die Phase, in der die menschliche Persönlichkeit gebildet wird. Wie nah die Persönlichkeit an dem wahren, göttlichen Kern des Menschen liegt oder wie weit sie von ihm entfernt ist, hängt davon ab, in welchem Umfeld er aufwächst. Sind die Eltern liebevoll, verständnisvoll und sehen den göttlichen Kern ihres Kindes, hat das Kind große Möglichkeiten, eine stabile und wahrhaftige Persönlichkeit zu entwickeln. Erlebt dagegen ein Kind ein familiäres Umfeld, in dem der Wert eines Menschen nur an den erbrachten Leistungen bemessen wird, fängt das Kind an, sein Verhalten daran anzupassen.

„Liebe bekommt man nicht umsonst.“
„Ich muss mich anstrengen.“
„So, wie ich bin, bin ich nicht gut genug.“
„Ich muss besser werden.“

sind die üblichen Glaubensmuster, die ein Kind anfängt, über sich und die Welt zu denken. Diese Gedanken entfernen aber das Kind von seinem wahrhaftigen, göttlichen Kern und die innere Spaltung im Kind nimmt ihren Lauf. Das Wahrhaftige muss verlassen werden, um in dieser Welt Anerkennung und Liebe zu bekommen. Eine angepasste Persönlichkeit muss her. Eine Persönlichkeit, die alle mögen, die grandios ist, die glänzt und scheint wie ein Stern.

„Wenn ich so bin, haben Mama und Papa mich lieb!“

Und so erschafft das Kind eine Persönlichkeit, die Liebe und Anerkennung bekommt und die Mama und Papa liebhaben.

Aber was geschieht mit dem jungen Menschen hinter dieser Persönlichkeit? Dieser innere Kern hört nicht auf, zu existieren. Das innere Kind wird immer einsamer, fühlt sich nicht richtig, nicht wertvoll genug, nicht geschätzt und nicht geliebt. Es fühlt sich minderwertig und zerrissen.

Um Liebe zu spüren, sieht das innere Kind, der wahre Kern des Menschen keinen anderen Ausweg, als sich selbst in seine neu erschaffene Persönlichkeit zu verlieben.

Narzissmus ist eine Überlebensstrategie!

Dieser Schritt ist für das innere Kind notwendig, um unter dem Druck dieser modernen und tief narzisstischen Gesellschaft nicht zu zerbrechen. Die neu erschaffene und an diese Welt angepasste narzisstische Persönlichkeit dient dem wahren menschlichen Kern als Schutz vor emotionalen Verletzungen.

Das innere Kind ist voll von Liebe, will aber in seiner authentischen Liebe bestätigt werden.

„Ich sehe euch, möchte aber auch von euch gesehen werden.“
„Ich liebe euch, möchte aber auch von euch geliebt werden.“

Wird ein Kind von seinen Eltern als göttliches Wesen gesehen und so in seinem Ausdruck respektiert, so könnte man sagen, fällt der Samen auf einen fruchtbaren Boden. Ist das nicht der Fall, fangen die Eltern früher oder später an, das Kind nach eigenen Wünschen und Vorstellungen zu formen. Das Kind lernt schnell, was Mama und Papa wollen. Es lernt auch schnell, wie es zu sein hat, um z.B. Aufmerksamkeit und Anerkennung zu bekommen.

Dieses Verhalten hat aber einen hohen Preis. Die Folge ist die innere Zerrissenheit, Entfremdung von dem eigenen, wahrhaftigen Kern und letztendlich die Spaltung, die zur Entstehung der narzisstischen Persönlichkeit führt.

Das Kind lernt zu leisten, um Anforderungen zu erfüllen. Es tut alles, um wahrgenommen zu werden und zu gefallen. Es lernt Gehorsamkeit und Anpassung, um sich im Außen korrekt zu verhalten. Es lernt „perfekt zu sein“, um Liebe, Anerkennung und Wertschätzung zu bekommen.

Dabei entsteht aber ein Problem. Der wahre Mensch hinter dieser Fassade leidet. Die Liebe und die Wertschätzung gelten ja nicht ihm. Sie gelten seiner narzisstischen Persönlichkeit. Das innere Kind vereinsamt und fühlt sich minderwertig. Das narzisstische Ich bekommt alles und ich bekomme nichts.

Wie bereits erwähnt, ist die Bildung der narzisstischen Persönlichkeit eine Überlebensstrategie. Sie wird benutzt, um die erfahrene Lieblosigkeit und dadurch entstandene Kränkungen zu kompensieren. Je tiefer die Kränkungen sind, umso großartiger muss der Narzisst sein. Treffen Narzissten aufeinander, fangen sie an, sich zu übertrumpfen und legen die Latte für ihre Großartigkeit immer höher. Beim männlichen Narzissten muss z.B. das Auto immer größer und schneller sein, beim weiblichen Narzissten ist perfekt nicht gut genug!

Je höher die ersehnte Großartigkeit liegt, umso tiefer die innere Spaltung zwischen dem wahrhaftigen, göttlichen Ich und der erschaffenen, narzisstischen Persönlichkeit. Der Mensch verliert sich im wahrsten Sinne im eigenen Narzissmus. Während der männliche Narzisst die Karriereleiter erklimmt und seine Statussymbole sammelt, sucht der weibliche Narzisst unter anderem die Perfektion im familiären Umfeld.

Die eigenen Kinder müssen perfekt sein! Alle sollen sie bewundern, damit sich die narzisstische Mutter im Glanz ihrer Kinder sonnen kann. Selbstverständlich spüren die Kinder den Druck der Mutter, der auf sie ausgeübt wird. Sie spüren, dass sie durch die Wünsche und Vorstellungen der Mutter stark in ihrem Dasein geformt und beeinflusst werden.

Ein Kind, das seine Bedürfnisse nicht erfüllt bekommt, wird wütend. Dieses Gefühl ist natürlich und in menschlicher Signatur angelegt. Die authentische Wut kommt aus dem inneren Ich heraus und wird nicht willentlich erzeugt. Wird einem Kind der Ausdruck dieses Gefühls verboten, bzw. wird ein Kind für seine Wut bestraft, lernt das Kind, seine Wutkraft nicht zu zeigen, dann nicht zu fühlen und als Konsequenz abzuspalten. Das authentische Wutgefühl wird aus dem wahrhaftigen Ich verbannt. Das Kind wird nach Außen lieb und zahm, im Inneren tobt die Wut aber trotzdem weiter. Diese Wutenergie sucht ein Ziel und nicht selten findet sie es in der narzisstischen Persönlichkeit. Im männlichen Narzissten wird sie cholerisch. Im weiblichen Narzissten wird sie autoaggressiv und findet ihren Ausgang im Kampf gegen den eigenen Körper. Dieser Körper muss natürlich – wie alles andere auch – perfekt sein und alles an ihm muss ständig verbessert werden.

Wenn wir uns die aktuelle Lage unserer Gesellschaft anschauen, müssen wir feststellen, dass der Narzissmus fast überall zu finden ist. Sehr oft zeigt er sich aber sehr subtil und kann nicht sofort erkannt werden. Ein Narzisst versucht die ihm selbst fehlende Liebe im Applaus der Außenwelt zu finden.

„Wie reagieren die Anderen auf mich?“
„Wie muss ich sein, um zu gefallen?“

Ein Narzisst ist leicht kränkbar. Im inneren weiß er, dass er eine Maske trägt, die nicht authentisch ist. Sein Schauspiel darf nicht erkannt werden – es ist ja schließlich seine Überlebensstrategie. Hinter diese Maske darf niemand schauen. Da steckt eine große Minderwertigkeit und sie darf von niemanden gesehen werden.

Narzissten sind grundsätzlich sehr Therapie resistent. Es hilft nichts, auf einen Narzissten mit dem Finger zu zeigen und ihm sein Problem zu präsentieren. Ein Narzisst sieht das Problem niemals bei sich selbst, sondern immer bei den anderen.

Narzissmus ist ein gesellschaftliches Phänomen.

Wollen wir ein neues, gesundes Miteinander, liegt es an jedem einzelnen von uns, die eigenen narzisstischen Anteile zu erkennen und sie zu heilen. Keine Begegnung ist zufällig und somit auch keine Begegnung mit Narzissten. Aus der Sicht der eigenen Heilung ist es nicht wichtig, was für ein Problem der andere hat, entscheidend ist die Ehrlichkeit zu sich selbst bei der Beantwortung der Fragen: „Was macht dieser Mensch in meinem Leben?“ und „Was macht das mit mir, ihm zu begegnen?“

Seminar – „Spielregeln des Lebens“

Seminar – „Elternführerschein – Entwicklung der Persönlichkeit“

Im Miteinander lernen wir das eigene Selbst besser kennen.

Folgende Seminare können dir dabei helfen, dein wahres Ich immer tiefer zu ergründen und zu verstehen, den Sinn deiner Existenz zu sehen und ein wahrhaftiges Leben zu führen.

Bei jedem Spiel ist es gut, die Spielregeln zu kennen.

Seminar –  „Spielregeln des Lebens“

Seminarleiter –  Darius Waldhof

Jedes Kind ist ein Geschenk!

Seminar –  „Elternführerschein – Entwicklung der Persönlichkeit“

Seminarleiter –  Darius Waldhof

Über den Autor Darius Waldhof

Darius ist ein Bewusstseinsforscher, Wahrheitsfinder und Impulsgeber für ein neues Miteinander. Er hat die Gabe, aus komplexen Situationen die Kernbotschaft wahrzunehmen und sie in prägnanter Form zu benennen. Darius hat ein gut ausgeprägtes Gespür für die verborgenen und aktiven Muster, die in zwischenmenschlichen Beziehungen wirken. In seiner Arbeit unterstützt er Menschen in ihren persönlichen, familiären und beruflichen Wandlungsprozessen. In globalen und gesellschaftlichen Fragen ist es ihm ein großes Anliegen, die Verdrehungen, die die Menschheit in sich trägt, zu benennen und Lösungen aufzuzeigen. Die Findung der eigenen Wahrheit, der Weg des Herzens und die Bewusstseinsarbeit im Miteinander ist seine Vision für die aktuelle und kommende Zeit.