Gefühle gehören zum Menschen dazu. Sie sind ein Teil von uns. Wir fühlen uns stark, schwach, gut, schlecht, traurig, ohnmächtig, geliebt, wütend, und so weiter. Die Auflistung dieser Zustände könnte man lange fortsetzen. Aber was genau erzeugt diese Zustände in uns? Wie kommt es dazu, dass sich ein Mensch z.B. geliebt oder ungeliebt fühlt? An dieser Stelle tauchen wir gleich ganz tief in das menschliche Bewusstsein ein, in das Mysterium der menschlichen Existenz.
Das Bewusstsein denkt und der Mensch empfängt diese Gedanken. Dieser Prozess ist ganz tief im Menschen verankert und im Alltag kaum wahrnehmbar. Es geschieht einfach, ohne dass es uns bewusst ist. Die Gedanken des Bewusstseins erzeugen unter anderem „Ich“ bezogene Bedürfnisse, wie z.B. „Ich habe Hunger.“, „Ich brauche Ruhe.“, „Ich will wissen.“ Die erzeugten Bedürfnisse sind zuerst mal feinstofflicher Art und vom Menschen immer noch kaum wahrnehmbar. Im nächsten Schritt werden der physische Körper und der Verstand darüber „informiert“. Die Botschaften: „Ich will…“, „Ich brauche…“ bekommen die menschliche Aufmerksamkeit. Körperliche Ressourcen werden bereitgestellt, um diese Botschaften zu empfangen und sie zum Ausdruck zu bringen.
Und jetzt geschieht es! Der Mensch äußert sein Bedürfnis und sein Umfeld reagiert darauf. „Wird mein Bedürfnis verstanden und angenommen oder werde ich für mein Bedürfnis abgelehnt?“ Geschieht das Erste, „positive“ Gefühle durchströmen den Körper. Geschieht das Zweite, „negative“ Gefühle übernehmen die „Kommandozentrale“.
Ein Gefühl, wie Angst, Wut, Freude, Trauer entsteht also aus der Interaktion der eigenen Gedanken mit der Reaktion des Umfeldes darauf.
Da es viele Menschen tagtäglich begleitet und viele Missverständnisse darüber im Umlauf sind, möchte ich in diesem Artikel ein Gefühl ganz besonders hervorheben und zwar die Wut.
Was ist die Wut?
Wut ist ein authentisches, menschliches Gefühl. Es ist eine Urenergie, die uns Menschen die Kraft verleiht, unsere Bedürfnisse klar wahrzunehmen und sie auch klar zu äußern. Sie bringt also Klarheit mit sich und gibt uns die Kraft, den eigenen Bedürfnissen entsprechend zu handeln. Die Wut ist eine Energie, die auch eine gesunde Aggression in sich trägt: Sie schützt das Bedürfnis, hat aber auch die Aufgabe, dessen Missachtung zu bestrafen.
Gesellschaftlich betrachtet wird die Wut allerdings negativ bewertet und ist grundsätzlich unerwünscht. Diese Sicht auf dieses Gefühl und der negative Umgang mit dieser Energie hat enorme, Leid erzeugende Auswirkungen auf die Gesundheit einzelner Menschen und letztendlich auf die ganze Gesellschaft
Was ist also der Sinn hinter der Wut?
Der Mensch ist ein geistiges Wesen und inkarniert in einen Körper hinein, um Erfahrungen mit der materiellen, irdischen Welt zu machen. Es ist wie eine Reise, auf die wir unser Gepäck mitnehmen. In diesem Gepäck ist die Wut, wie jedes andere Gefühl auch, dabei. Wir nehmen sie mit, damit da „jemand“ da ist, der auf unsere Bedürfnisse achtet. Die Wut kommt aus dem „mitgebrachten Gepäck“ instinktiv, zuerst ganz sanft, um dem Menschen Klarheit darüber zu schenken, was er gerade braucht, wie Mitgefühl, Geborgenheit, Wertschätzung, Anerkennung, Nahrung, Information, usw. Die Wut wird verstärkt, wenn der Mensch das nicht bekommt, was er in diesem Moment braucht. Dieser Mechanismus „läuft automatisch ab“ und ist ganz tief in der menschlichen Psyche verankert, man nennt es auch das Unterbewusstsein.
Die irdische Reise beginnt im Mutterleib. Bereits dort schon sammelt das Ungeborene seine ersten Erfahrungen. Ein permanenter, feinstofflicher Abgleich zwischen dem Kind und seiner Umgebung findet statt. Ist die Mutter glücklich, ausgeglichen und gesund, ist alles in Ordnung. Ist sie ängstlich, genervt und vielleicht körperlich krank, hat das negative Auswirkungen auf das Kind.
Ein Kind kommt nie „leer“ auf die Welt. Bei der körperlichen Geburt hat es die ganze Erfahrung der Schwangerschaft bereits in sich. Auf die Zeit im Mutterleib folgt das körperliche Eintreten in die materielle Welt. Neue Erfahrungen kommen dazu. „Wie werde ich hier empfangen?“, „Bin ich hier willkommen und sicher?“, „Bekomme ich alles, was ich brauche?“ Ganz wichtige Momente im Leben eines Menschen finden gerade statt. Die ersten Bedürfnisse nach Liebe, Geborgenheit und Versorgung zeigen sich und die Umwelt antwortet. Bekommt das Neugeborene alles, was es braucht, heißt es: „Meine Bedürfnisse sind in Ordnung.“ Reagieren die Menschen auf die Bedürfnisse des Kindes negativ, kommt die Wut. Das Baby fängt an, auf sich aufmerksam zu machen und schreit. Wie reagieren die Erwachsenen jetzt? Bekommt das Baby jetzt alles, was es braucht, heißt es: „Meine Wut ist in Ordnung.“ Sind die Erwachsenen von dem Babyschrei genervt, empfängt das Kind diesen Zustand und lernt: „Meine Wut ist hier wohl nicht willkommen.“
Dieser Abgleich geschieht jetzt permanent. Das Kind hat Bedürfnisse und äußert sie. Als Baby geht das nur durch Laute und Schreie, später kommen Worte und Körperausdruck dazu. Die innere Frage: „Wie reagieren die Erwachsenen auf meine Bedürfnisse?“ begleitet jedes Bedürfnis. Ist die Reaktion der Erwachsenen (in der Regel von Mutter und Vater) verständnisvoll und positiv, lernt das Kind: „Mein Bedürfnis x ist in Ordnung.“ Kommt von den Erwachsenen eine negative Reaktion, kommt die Energie der Wut und unterstützt das Kind, für sein Bedürfnis einzustehen. „Wie reagieren die Erwachsenen jetzt?“, „Haben sie Verständnis für meine Wut?“ – in der Regel nicht. Die Wut des Kindes aktiviert die Wut bei Mama oder Papa. Sie haben in diesem Moment wahrscheinlich ihre eigenen Bedürfnisse, wie z.B. nach Ruhe.
Der Konflikt beginnt. Der nächste wichtige Moment im Leben eines jungen Menschen findet gerade statt. Können die Erwachsenen diese Situation richtig einschätzen? Sehen sie die konträren Bedürfnisse zwischen ihrem Kind und sich selbst? Eine negative Reaktion der Eltern auf die Wut des Kindes führt Stück für Stück zu einer negativen Beziehung des Kindes zu seiner Wut. Zur Erinnerung: Die Wut ist eine natürliche Energie, die im Menschen intuitiv bereitgestellt wird, wenn ein Bedürfnis nicht erfüllt wird bzw. zu einer negativen Reaktion der Umwelt führt. Was lernt also das Kind, wenn ihm immer und immer wieder gezeigt wird: „Wenn du wütend bist, gefällt uns das nicht.“, „Wenn du wütend bist, werden wir wütend auf dich ein.“, „So wollen wir dich nicht haben.“ Ein Kind bezieht jede Reaktion der Bezugspersonen (in der Regel der Eltern) auf sich selbst und tut gleichzeitig alles, um seine Bindung zu den Bezugspersonen nicht zu verlieren. Es schlussfolgert: „Mein authentisches Gefühl der Wut ist wohl nicht in Ordnung.“ „Irgendetwas muss wohl an mir nicht in Ordnung sein.“ Das Kind zieht Konsequenzen aus dem Gelernten und fängt an, Überlebensstrategien zu entwickeln.
Eine verheerende Abwärtsspirale der Abwertung der eigenen Energie, der eigenen Wut, nimmt ihren Lauf. In vielen Fällen endet dieses Verhalten sogar mit einem Trauma in der Wut. Das Trauma entsteht, wenn die Reaktion der Erwachsenen auf die Wut des Kindes so heftig ist, dass das Kind mit dieser Reaktion nicht umgehen kann und überfordert ist. Im inneren trifft es dann die Entscheidung: „Die Energie der Wut überfordert mich.“, „Ich werde für meine Wut bestraft.“, „Ich will sie nicht mehr!“ In der Psyche des Kindes folgt die Abspaltung der Wut in den Schatten. Ab dann ist das Kind brav und lieb, kann aber für seine Bedürfnisse nicht mehr einstehen.
Dieser Zustand ist hoch dramatisch! Mit der Abspaltung der Wut verschwinden die Bedürfnisse nicht und die Wut verschwindet genauso wenig. „Zeit heilt die Wunden“ gilt hier nicht. Eine abgespaltene Wut bleibt so lange abgespalten, bis die Blockade erkannt und geheilt wird. Das heißt, eine Abspaltung der Wut im Kindesalter kann den betroffenen Menschen sein Leben lang begleiten, ohne dass ihm das bewusst ist. Wer kann sich noch an alles erinnern, das in seinem Leben in den ersten 6 Jahren passiert ist?
Ein Mensch hat Bedürfnisse, das ist natürlich. Die Wut ist dafür da, um den Menschen dabei zu unterstützen, seine Bedürfnisse klar wahrzunehmen und für seine Bedürfnisse einzustehen. Auch das ist natürlich. Was geschieht aber, wenn der Mensch in das Natürliche eingreift? Der Verlauf der Dinge verändert sich, aber nicht das Natürliche selbst. Und so auch mit den Bedürfnissen und mit der Wut. Bedürfnisse kommen aus dem Menschen heraus natürlich und intuitiv. Wenn aber ein Bedürfnis sich im Menschen zeigt und keine Erfüllung findet, wird die Wut aktiv. Die Wut stellt die nötige Energie im Körper bereit, um die Erfüllung des Bedürfnisses zu unterstützen. Wenn die Wut aber feststellt: „Oh! Da ist ein Stoppschild! Ich darf nicht.“, führt das zu einem Problem. Die Energie ist bereitgestellt und sie muss einen Ausgang finden. Die Wut muss eine Entscheidung treffen. Entweder bleibt die Energie im menschlichen Körper oder sie wird nach außen gerichtet. Nochmal zur Erinnerung: Wut schützt das Bedürfnis, hat aber auch die Aufgabe dessen Missachtung zu bestraffen. Bei der Entscheidung, ob die Energie im Körper ihren Ausgang findet oder nach außen gerichtet wird, hilft die Beantwortung der Frage: „Wer hat das Bedürfnis missachtet?“ Bei Menschen, die ihre Bedürfnisse zurückstecken und der Harmonie wegen alles mit sich machen lassen, bleibt die Wutenergie in ihren Körper, sie wird dort ihr Ziel finden und richtet im Körper wegen ihrer aggressiven Art Schaden an. Die Wut bestraft den eigenen Menschen für die Missachtung der eigenen Bedürfnisse. Chronische Schmerzen oder Autoimmunerkrankungen können die Folgen sein. Bei Menschen die auf eigene Bedürfnisse achten aber trotzdem eine Wutabspaltung in sich tragen, richtet sich die Wutenergie nach außen. In dem Fall, geschieht es unkontrolliert. Der Ausdruck kommt unwillkürlich aus dem Schatten heraus – die Wut steuert, nicht der Mensch. Cholerische Wutanfälle können die Folge sein.
Was ist die Lösung?
Zuerst ist es wichtig, die Wut überhaupt zu verstehen, sie zu akzeptieren und lieben zu lernen. Wenn die Wut meine Energie ist und zu mir gehört, dann ist es nicht sinnvoll, sie abzulehnen. Lehne ich die Wut ab, lehne ich einen eigenen wertvollen Teil von mir ab. Also lehne ich mich selbst teilweise ab. Das ist nicht gesund!
Die Heilung der Wut geschieht durch Aussöhnung mit ihr, durch Integration der „abgestoßenen“ Anteile. Die Wut will verstanden, wertgeschätzt und geliebt werden. Sie will ihre Aufgabe erfüllen und für dich da sein!
Wie kann ich eine Wutabspaltung bei mir erkennen?
Du musst achtsam mit dir sein. Du musst deine Bedürfnisse in jedem Moment wahrnehmen können und darauf achten, ob du die Kraft und den Mut in dir hast, deine Bedürfnisse aus der Ich-Perspektive klar zu benennen. Kennst du deine Bedürfnisse? Gibt es Bedürfnisse, die grundsätzlich nicht erfüllt sind? Wie reagierst du, wenn jemand von dir etwas will, du aber das nicht tun möchtest? Kannst du deine Position klar beziehen und zu dir stehen? Füllst du dich oft bedrängt oder nicht verstanden? Wie regelst du das? Bist du zu jedem lieb und brav oder kannst du auch „nein“ sagen, wenn du „nein“ sagen möchtest? Was machst du, wenn du deine Bedürfnisse äußerst aber sie missachtet werden? Wirst du in allem, was du tust respektiert? Kannst du dich wehren oder erduldest du, was mit dir geschieht? Kannst du klare Grenzen setzen? Lässt du deinen Worten Taten folgen oder fehlt dir die nötige Umsetzungskraft?
Ein Mensch, dessen Beziehung zur Wut ausgesöhnt und gesund ist, ist nicht wütend aggressiv. Ganz im Gegenteil, er geht liebevoll und respektvoll mit sich selbst und mit anderen Menschen um. Er strahlt voller Würde eine sanfte Klarheit aus.
In meiner Arbeit unterstütze ich Menschen:
- die ihre Wutabspaltung lösen wollen,
- die ihre authentische Kraft wieder spüren wollen,
- die ihre Bedürfnisse klar kommunizieren wollen,
- die die Wut als einen inneren Kompass nutzen wollen,
- die ihr Leben wieder selber gestalten wollen,
- die wieder Ich-Selbst sein wollen.
Je gesünder die Beziehung des Menschen zu seiner Wut ist,
umso gesünder ist der Mensch selbst.
Solltest du Probleme mit deiner Wut haben, unterstütze ich dich sehr gerne.